© Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts – Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung (2. Band), herausgegeben vom Österreichischen Architekten-Verein, Verlag von Gerlach & Wiedling, Wien, 1906, Wikipedia
Palais von Freiherr Albert von Rothschild in der damaligen Heugasse 26 im 4. Wiener Gemeindebezirk

Gedenkinstallation zur "Zentralstelle für jüdische Auswanderung"

Am heutigen Standort der Arbeiterkammer Wien befand sich nach dem "Anschluss" Österreichs an Deutschland 1938 die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung". Diese "Behörde neuen Typs" war unter der Leitung Adolf Eichmanns zunächst für die Vertreibung später für die Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Todeslager verantwortlich. Die AK Wien hat einen Wettbewerb zur Gestaltung einer Gedenkinstallation an diesem Ort der Täter durchgeführt.

DIE ANTIFASCHISTISCHE TRADITION DER ARBEITERKAMMER (AK)

Die AK steht in einer antifaschistischen Tradition. Ihr erster Präsident nach 1945 war der Untergrund-Gewerkschafter und KZ-Überlebende Karl Mantler, auch Emigranten wie Eduard März (Leiter Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung) und Widerstandskämpfer wie Stefan Wirlandner (Stv. Kammeramtsdirektor, Vater der Lohn-Preis-Abkommen) nahmen in der AK nach 1945 Spitzenpositionen ein. Die AK war bereits unmittelbar nach 1945 an Versuchen beteiligt, die NS-Verbrechen in der österreichischen Gesellschaft zu thematisieren (etwa im Rahmen der Ausstellung „Niemals Vergessen“ 1947). In den 1960ern nahm die AK den Frankfurter Auschwitz-Prozess zum Anlass, eine eigens adaptierte Wanderausstellung zum NS-Völkermord aus Deutschland nach Österreich zu holen und hier an mehreren Standorten einem breiten Publikum zugänglich zu machen – über Jahrzehnte der vermutlich wichtigste Versuch einer Auseinandersetzung mit der düsteren NS-Vergangenheit.

 

DER STANDORT DER BUNDESARBEITSKAMMER

Im ausgehenden 20. Jahrhundert erwarb und bebaute die Bankiersfamilie Rothschild mehrere Grundstücke im vierten Wiener Gemeindebezirk in unmittelbarer Nachbarschaft zum Belvedere, zwischen Prinz-Eugen-Straße und Argentinierstraße. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland 1938 wurden diese Liegenschaften von den NS-Machthabern beschlagnahmt, später im Zuge der Kriegshandlungen in unterschiedlichem Ausmaß beschädigt. Nach 1945 wurden sie an die Rothschilds, die den NS-Terror im Exil überlebt hatten, restituiert. Nachdem die Eigentümerfamilie nach den Erfahrungen der vorangehenden Jahre nicht mehr nach Österreich zurückkehren wollte, suchte sie Käufer:innen für die Gebäude. Angesichts der Beschaffenheit der Immobilien und der allgemeinen Bedingungen im Nachkriegsösterreich war das ein durchaus schwieriges Vorhaben. Das Palais in der Theresianumgasse 16-18 war völlig zerstört. Unter den verbleibenden Liegenschaften eigneten sich vor allem die beiden prominentesten, namentlich das „große“ Palais in der Prinz-Eugen-Straße 20-22 und das „kleine“ in derselben Straße auf Nummer 26 gelegen, als herrschaftliche Wohnsitze, allenfalls als Botschaften oder Museen, nicht aber als Verwaltungsgebäude. Der Kreis potenzieller Interessent:innen war somit von vornherein stark limitiert. Nachdem sich der vierte Bezirk zudem auch noch in der sowjetischen Besatzungszone befand, war ein Erwerb für private Kapitaleigner generell unattraktiv. Die für die Liegenschaften erzielbaren Preise waren daher verhältnismäßig niedrig, was es der AK ermöglichte, 1950 das devastierte Palais Nathaniel Rothschild in der Theresianumgasse 16-18 und vier Jahre später das nur leicht beschädigte Palais Albert Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße 20-22 zu erwerben. Nachdem die AK Bedarf an einem modernen Bürogebäude, nicht an einem exquisiten Stadtpalais hatte, war sie von vornherein am Baugrund, nicht am Erhalt des Palais interessiert und bebaute beide Grundstücke neu. In der Theresianumgasse befinden sich heute das Bildungszentrum und das Theater AKzent, in der Prinz Eugen Straße das AK-Hauptgebäude, in dem heute mehr als 600 Menschen arbeiten.

 

STANDORTGESCHICHTE ALS TÄTERGESCHICHTE

Nach der Konfiszierung des Liegenschaftsbesitzes der Familie Rothschild bezogen mehrere wichtige Dienststellen des NS-Terrorapparates dort Quartier: In der Theresianumgasse 16-18 residierten der Inspekteur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD), sowie der SD-Oberabschnitt Donau bzw. der SD-Leitabschnitt Wien. Den Standort des heutigen AK-Hauptgebäude in der Prinz-Eugen-Straße 20-22 reklamierte der von Berlin nach Wien entsandte „Judenreferent“ des SD, Adolf Eichmann, erfolgreich für eine von ihm errichtete Dienststelle neuen Typs: Die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“. Die Zentralstelle diente in den folgenden zwei Jahren als bürokratisches Zentrum zur Vertreibung österreichischer Jüdinnen und Juden. Unter dem Eindruck des täglichen NS-Terrors, von gewalttätigen Ausschreitungen, Plünderungen, willkürlichen Festnahmen und der Zerstörung ihrer Existenzgrundlagen durch Berufsverbote und Enteignungen wandten sich binnen weniger Wochen tausende Menschen zur Flucht. Das entsprach dem Ziel der NS-Machthaber, ihr Territorium so rasch als möglich „judenrein“ zu machen. Rasch stellte sich jedoch heraus, dass dem reibungslosen Erreichen dieses Ziels ein erhebliches bürokratisches Problem entgegenstand: um die für eine Auswanderung notwendigen Papiere zusammenzubekommen, mussten Menschen zahlreiche Ämter aufsuchen, von Polizei und Justiz über den Zoll bis hin zum Melde- und Finanzamt. Diese Stellen waren von dem plötzlichen Massenansturm rasch überfordert. In der Konsequenz geriet die euphemistisch als „Auswanderung“ titulierte Vertreibung ins Stocken. Die Idee hinter der Einrichtung der „Zentralstelle“ war die Schaffung eines Ämter-Fließbandes: alle Ämter, deren Formulare und Bescheinigungen „Auswanderungswillige“ benötigten, wurden in einem Haus zusammengefasst. Dies ermöglichte auch eine effizientere Koordination der beteiligten Ämter untereinander. So ließ sich etwa leichter sicherstellen, dass den Menschen vor Verlassen des Landes möglichst große Teile ihres Vermögens abgepresst worden waren, die kurzen Wege und die zwangsweise Einbeziehung jüdischer Organisationen beschleunigten zudem die Ausstellung von Ausreisedokumenten erheblich.

Mit dem Kriegsbeginn im Herbst 1939 war die Flucht allerdings kaum noch möglich. Wenige Wochen später, im Oktober 1939, organisierte die Zentralstelle die ersten Deportationen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern nach Polen. Verliefen diese zunächst noch chaotisch und ohne vordefinierte Tötungsabsicht, änderte sich das rasch. Ab Anfang 1941 wurden die Deportationen „professionalisiert“ und bis Oktober 1942 praktisch die gesamte noch vorhandene jüdische Bevölkerung Wiens, mehr als fünfundsechzigtausend Menschen, in die Todeslager und Mordstätten in Osteuropa transportiert. Die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ wandelte sich von einem Vertreibungsapparat zu einem Zentrum der Deportationsorganisation. Weil Eichmann und seine Mitarbeiter:innen dabei so effizient vorgingen, wurden sie, nachdem sie ihr Werk in Wien getan hatten, als gefragte „Spezialisten“ für die Völkermordlogistik in anderen Teilen des besetzten Europas mit der Durchführung der dortigen Deportationen betraut.

 

WIE UMGEHEN MIT DEM BELASTETEN HISTORISCHEN ERBE EINES STANDORTES?

An zahlreichen prominenten Wiener Adressen befanden sich in der NS-Zeit Ämter und Dienststellen, die tief in die Massenverbrechen des Regimes verstrickt waren, vom Amt des Reichsstatthalters am Ballhausplatz 2, dem heutigen Bundeskanzleramt, über die Gauleitung, die ihren Sitz im Parlament hatte, bis hin zum Führer des SS-Oberabschnitts Donau SS-Gruppenführer Ernst Kaltenbrunner der am Parkring 8 residierte, wo sich heute der OPEC-Fund befindet. Anders als in Deutschland, wo etwa das Bundesfinanzministerium im ehemaligen Reichsluftfahrtsministerium oder das Außenministerium im Gebäude der einstigen Reichsbank seinen Sitz hat und sich beide der Vergangenheit dieser Orte offensiv stellen, wird Täterschaft im Kontext betroffener Wiener Gebäude bislang überhaupt nicht thematisiert.

Die AK hat sich mit ihrer Standortgeschichte bereits im Rahmen eines durch Gabriele Anderl und Sabine Lichtenberger 2005 durchgeführten Projektes ausführlich befasst. Mit der Entscheidung, der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ im Foyer des AK-Haupthauses auch eine eigene Dauerausstellung zu widmen, wird nun ein weiterer Schritt gesetzt, der sich als Beitrag zur Volksbildung und zu einem gesellschaftlichen Reflexionsprozess über das NS-Regime, seine Verbrechen und die vielfältige Involvierung von Österreicherinnen und Österreichern in Selbige versteht. Auf diese Weise möchte die AK sowohl ihrer gesellschaftlichen Verantwortung als auch ihrem antifaschistischen Grundverständnis gerecht werden.

 

GELADENER WETTBEWERB

Vor diesem Hintergrund initiierte die AK Wien 2021 einen künstlerisch-wissenschaftlichen Ideenwettbewerb für die Gestaltung einer zeitgemäßen Informationsinstallation und eines künstlerischen Erinnerungszeichens zur „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ im Foyer bzw. am Vorplatz des AK-Hauptgebäudes. Die Auslobung erfolgte als einstufiger, geladener, nicht anonymer Wettbewerb. Insgesamt zwölf Künstler:innen und Wissenschaftler:innen, einzeln und in Teams, wurden zum Wettbewerb eingeladen. Die Option der Zusammenarbeit war gegeben, was am Ende in insgesamt neun Einreichungen resultierte. Einladung und Beurteilung erfolgten durch eine hochkarätig besetzte Expert:innen-Jury. Die Durchführung des Wettbewerbs hat sich coronabedingt verzögert, die Entscheidungssitzung fand schließlich am 17.12.2021 statt. Die Jury entschied einstimmig für den Konzeptvorschlag „Schaltstelle des Terrors“ von Sophie Lillie und Arye Wachsmuth, der nun voraussichtlich bis Mai 2025 umgesetzt werden soll. Mit dem Einverständnis der Teilnehmer:innen des Wettbewerbs werden nachfolgend alle eingegangenen Entwürfe veröffentlicht.

 

TEILNEHMER:INNEN UND EINREICHUNGEN

Iris Andraschek und Hubert Lobnig
Anna Artaker
Eduard Freudmann, Gabu Heindl und Luiza Margan
Sophie Lillie und Arye Wachsmuth
Ruth Mateus-Berr
Elsa Prochazka
Philipp Rohrbach und Niko Wahl
Toni Schmale
Verein für Erinnerungskultur (Albert Lichtblau, Barbara Staudinger, Hannes Sulzenbacher)

 

JURY

STIMMBERECHTIGT:

Vorsitzende: Gabriella Hauch (Historikerin, Universität Wien)
Reinhard Kannonier (ehem. Rektor Kunstuniversität Linz)
Christoph Klein (Direktor AK Wien)
Stella Rollig (Generaldirektorin Österreichische Galerie Belvedere)
Klaus Taschwer (Historiker und Wissenschaftsjournalist, Der Standard)
Heidemarie Uhl (Historikerin, Österreichische Akademie der Wissenschaften)

 

BERATEND:

Roman Berka, Kulturreferent AK Wien
Gabriela Neuwirth, Zentrale Verwaltung AK Wien
Florian Wenninger, Institut für Historische Sozialforschung

 

Statement Jury